Lesestoff

Julie Otsuka. Als der Kaiser ein Gott war

Bleib im Haus, sei nur bei Tag unterwegs, sprich kein Japanisch am Telefon und denk dran, du bist in Amerika: Julie Otsuka erzählt in einer wunderbar poetischen Sprache von der antijapanischen Stimmung der 1940er Jahre in den USA. Ein Buchjuwel, das mit seiner meditativen Stimmung in die erzwungene Stille dieser Zeit passt.

Ein sonniger Frühlingstag, 1942 in Kalifornien: Eine junge Frau liest am Postamt eine offizielle Bekanntmachung – weil sie eine neue Brille hat, müsste sie nicht mehr blinzeln. Aber sie blinzelt trotzdem. Denn die Schrift ist klein und dunkel, manche Buchstaben sind winzig. Sie liest alles von oben bis unten durch und dann noch einmal. Weil die USA mit Japan im Krieg steht, werden japanischstämmige Amerikaner als Sicherheitsrisiko eingestuft und in ein Internierungslager in das Wüstenhochland von Utah gebracht. Ihr Mann wurde schon vor Wochen verhaftet, manchmal kommt ein Brief von ihm, sie weiß nicht, wie es ihm wirklich geht. Die junge Frau geht nach Hause, streift ihre Seidenhandschuhe ab, steckt ihr Haar zu einem Knoten hoch und schlüpft in ihr Hauskleid. Zuerst rollt sie den Orientteppich ein, dann hängt sie die Spiegel ab, nimmt die Vorhänge von den Gardinen und bringt das Grammophon in den Keller. Danach packt sie Kleidung ein, eine große Dose Gesichtscreme, eine Stange Seife, Teller, Besteck, Karamellbonbons für ihre Kinder, zwischendurch isst sie ein Reisbällchen und nimmt einen Schluck vom Pflaumenwein.


„Die Schrift war klein und dunkel,
manches davon winzig.”


Am nächsten Tag bricht die junge Frau mit ihren Kindern früh auf. Sie setzen sich in den Zug, der landeinwärts fährt. Die Hitze wird unerträglicher, dann kommen sie an und tauchen in das weiße Gleißen der Wüste ein. Sie beziehen eine Baracke, die ihnen zugewiesen wird, die Luft flimmert unentwegt und die Tochter setzt einen riesigen Panamahut auf, wenn sie hinaus geht. Der Sohn aber denkt sich: Das ist nicht die Wüste, wie er sie aus seinen Büchern kennt. Keine Palmen, keine Oase, keine Karawanen. Dafür ringsum nur Menschen, die ein vermeintliches Verbrechen eint: japanischer Abstammung zu sein. Wenn der Krieg vorbei ist, können wir nach Hause gehen, sagt die Mutter. Wieder kommen Briefe des Vaters, sind aber zerrissen. Der Vater verehrt den Kaiser nicht, aber manchmal rutscht dem Sohn seine Herkunft doch heraus und er sagt leise: Hirohito, Hirohito, Hirohito. Langsam kriecht ihnen der Wüstenstaub in die Haare, ins Bett, in den Mund, die Träume…

Julie Otsuka beschäftigte sich bereits in ihrem Bestseller „Wovon wir träumten“ – mit dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnet – mit dem Schicksal japanischer Einwanderer in den USA am Beginn des 20. Jahrhunderts. Nun geht sie chronologisch einen Schritt weiter, widmet ihr Buch der antijapanischen Stimmung in den 1940er Jahren und entfaltet dabei ihre ganze Erzählkunst: präzise, feinfühlig, nuanciert, poetisch, melancholisch, leichtfüßig – das Buch ist ein kleines Juwel und passt mit der meditativen Stimmung in diese Zeit des erzwungenen Innehaltens.

Im Lenos Verlag um 22,70 Euro
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Julie Otsuka: Als der Kaiser ein Gott war
Ein Buchjuwel, das mit seiner meditativen Stimmung gut zur erzwungenen Stille dieser Zeit passt.