Ein Ort im Wechselgebiet, der nicht gefunden werden will. Eine Gräfin, die darüber herrscht, als ob es ihr Privatbesitz wäre. Eine Bevölkerung, die wegschaut. Und eine junge Physikerin, die dort flüssiges Land entdeckt. Ein Roman gegen das Vergessen, der auf der Shortlist des Deutschen und Österreichischen Buchpreises 2019 stand – zu Recht!
Ruth lebt in Wien und bereitet sich als erfolgreiche Physikerin gerade auf ihre Antrittslesung an der Universität vor. Doch dann hebelt ein Anruf die Naturgesetze ihres Lebens aus: Ihre Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen und haben verfügt, dass sie in Groß-Einland, dem Ort ihrer Kindheit, begraben werden wollen. Ruth ist nie dort gewesen und macht sich auf den Weg, um das Begräbnis vorzubereiten. Irgendwo im Wechselgebiet soll Groß-Einland liegen, doch weder ihr Navigationsgerät noch Landkarten kennen es. Sie fährt tage- und nächtelang herum, probiert Straßen und Richtungen aus und fällt währenddessen aus der Zeit. Sie wirft ihr Handy in einen Abgrund, schläft im Auto, vergisst ihre Eltern und verfängt sich in einer zähflüssigen Stimmung. Doch endlich schnappt Ruth an einer Tankstelle den Ortsnamen von Groß-Einland auf und folgt dem Auto eines Mannes, der dorthin fahren will. Sie verlässt befestigte Straßen, landet auf holprigen Waldwegen, bleibt mit dem Auto zwischen zwei Tannen hängen, schiebt es hinaus, kommt auf eine kleine Kuppe – und ist plötzlich in Groß-Einland.
„Erst wer weiß, was sich
in der Landschaft zugetragen hat,
kann in sie hineinwachsen.“
Im zeitlosen Universum liegen alle möglichen Welten in Gleichgültigkeit nebeneinander: Genauso scheint es in Groß-Einland zu sein: hochwertig gebaut, gleichzeitig abgehalftert und seltsam verdreht. Die Häuser sind schief und haben Risse im Verputz, die Stadtmauern hängen und der Hauptplatz ist in der Mitte eingesunken und wird nicht überquert. Bald erfährt Ruth, dass es unter Groß-Einland ein Loch unbekannter Tiefe und Größe gibt. Wie eine riesige unterirdische Qualle soll es die Stadt und das umliegende Land durchziehen. Wenn sie am Stammtisch der Pension in die sich Ruth einquartiert hat, nachfragt, wird das Thema gewechselt oder geschwiegen. Und dann ist da noch die Gräfin, die über Groß-Einland herrscht, als ob es ihr Privatbesitz wäre – und in deren Dienste sie treten soll, weil ihr Wissen als Physikerin gefragt ist. Doch je mehr sich Ruth mit Groß-Einland und dem Loch darunter beschäftigt, umso mehr Fragen tauchen auf: Wer befindet sich im Hohlraum? Was hat ihre Familie damit zu tun? Warum kamen ihre Eltern nach einem Besuch in ihrem Geburtsort ums Leben? Und irgendwann – als Ruth schon längst mehr kein Zeitgefühl hat –, wird das Land unter ihr flüssig.
Schwindelerregend und zugleich tiefbohrend: Raphaela Edelbauer schreibt in einer verdichteten Sprache gegen das Vergessen an – mit grotesken Situationen und in bildstarken Szenen. Für ihren Roman stand sie auf der Shortlist des Deutschen und Österreichischen Buchpreises 2019. Zu Recht!
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