Lesestoff

Für alle, die der Natur nahe sein möchten

Abendflüge, Mondstaub und Naturempfinden – mit Helen Macdonald

Einst nannte man sie Teufelsvögel – vielleicht weil sie in schwarzen Scharen laut zirpend über den Himmel schwirren. Gemeint sind die Mauersegler, die im Gegensatz zu anderen Vögeln nie auf den Boden herabfliegen. Den ganzen Sommer verbringen sie zwischen den Wolken, ernähren sich von fliegenden Insekten, baden im Regen und steigen bei ihren Abendflügen auf eine Höhe von bis zu zweieinhalb Kilometern hinauf. Herab kommen sie nur, um schnell über Wasserflächen zu fliegen, aus denen sie schnabelweise Wasser zum Trinken schöpfen. Für Helen Macdonald – wir erinnern uns an ihren großen Naturroman „H wie Habicht“ – sind Mauersegler magische Wesen. Ihr solltet mit dieser Geschichte beginnen, sie ist wunderbar poetisch. Als nächstes empfehle ich „In Ihrem Orbit“ – Mondstaub, Vulkanseen und ein ungewöhnliches Liebespaar warten hier auf euch. Auch die Erzählung „Wild im Scheinwerferlicht“ solltet ihr keinesfalls auslassen. Denn Hirsche und Rehe besetzen in Helen Macdonalds persönlichen Pantheon der Tiere einen einmaligen Platz.

Ihr Blick auf die Natur ist sehr persönlich, eigen im besten Wortsinn, poetisch, bewegend und politisch. Was mich bei diesem Buch ebenfalls berührt: die große Liebe von Helen Macdonald für unseren Planeten und ihr tiefer Glaube daran, dass wir es schaffen, ihn zu retten.

Abendflüge. Von Helen Macdonald
Im Hanser Verlag um 24,70 Euro

Der Atem der Welt – die Naturerfahrung von Johann Wolfgang Goethe

Er ist 189 Jahre tot und trotzdem fasziniert er mich noch immer: Johann Wolfgang Goethe. Wir sind mit einem kleinen Ford von Graz nach Weimar gefahren, um sein Wohnhaus zu besuchen und haben von dort einen Ginkgo mitgebracht, der langsam, langsam in unserem Garten wächst. Das führt zum Thema: Stefan Bollmann zeigt den Dichter als Naturforscher – eine Seite, die bislang wenig beachtet wurde. Dabei war vor Goethe nichts sicher. Ob geologische, anatomische, botanische, astronomische oder optische Phänomene – sein Interesse am großen Ganzen war riesig. So begleiten wir Goethe in diesem Buch bei den Reisen nach Italien und in die Schweiz, sind bei seinen naturwissenschaftlichen Forschungen bei ihm zu Hause in Thüringen dabei und erleben, wie er sein tiefes Naturverständnis in literarische Landschaften übertrug. Mit Absonderlichkeiten wartet Goethe außerdem auf: Angeblich spazierte er mit rudernden Armen durch Weimar. Diese Fortbewegungsart erschien ihm natürlicher, als mit Stock zu gehen. Was mich bei diesem Buch noch überrascht: Es zeigt zwar eine historische Naturwahrnehmung, doch ist diese aktueller, als wir vielleicht meinen.

Die 600 Seiten starke Biographie über Goethe als Naturforscher ist detailliert recherchiert und inhaltlich gehaltvoll, deshalb mein Tipp: eher kapitelweise lesen, dazwischen immer wieder mal ruhen lassen und selbst über den Atem der Welt staunen.

Der Atem der Welt. Johann Wolfgang von Goethe und die Erfahrung der Natur.
Von Stefan Bollmann. Im Klett Cotta Verlag um 28,80 Euro

Abendflüge mit Helen Macdonald durch das Reich der Natur. Und Johann Wolfgang Goethe als Naturforscher und der Atem der Welt
Abendflüge mit Helen Macdonald durch das Reich der Natur. Und Johann Wolfgang Goethe als Naturforscher und der Atem der Welt